Augenblicke von Rhigas in Wien
Dimitrios Karaberopoulos
Augenblicke von Rhigas in Wien
Liebe Landsleute, liebe Freunde!
Mit einem Gefühl von Freude und gleichzeitig von Rührung stehe ich vor Ihnen in Wien, jener Stadt wo Rhigas Velestinlis seinen großartigen strategischen Plan einer Revolution entwarf und organisierte, die den versklavten Bevölkerungsgruppen (im osmanischen Reich)
die heißersehnte Freiheit bringen sollte.
Im Alter von dreißig Jahren, im Jahre 1790, kam Rhigas zum ersten Mal nach Wien als Sekretär und Dolmetscher von Christodoulos Kirlianos, eines lokalen Machthabers in der Walachei, der vom österreichischen Kaiser Leopold zum Baron ernannt werden sollte.
Er hatte Dienste in der österreichischen Armee in der Walachei angeboten, während sich der Krieg zwischen Österreich und der osmanischen „Hohen Pforte“ noch in Entwicklung befand.
Rhigas hatte Handschriften seiner beiden Bücher mitgebracht, die er entworfen hatte:
„Schule der feinfühligen Liebhaber“ und „Anthologie der Natur“ – jetzt auch eine Gelegenheit, sich um deren Herausgabe in verschiedenen Druckereien zu kümmern.
Und so erblickten sie in kurzer Zeit das Licht der Öffentlichkeit. Seinen Auftritt bei „Ellinika Grammata“ hatte er 1790.
Eine weitere Gelegenheit ergab sich für Rhigas in Verbindung mit Georgios Vendotis, einem hochgebildeten Verleger auf Zakynthos, der ihm sogar ein Epigramm für das Buch „Anthologie der Natur“ widmete – eine solche Wertschätzung hatte er für Rhigas: er hatte seine geistige Kraft erkannt, nannte ihn „weise“. Und in der Tat wurde er in der Folge durch das Schaffen von Rhigas bestätigt.
Als Dolmetscher von Kirlianos besucht er den Kaiser, den Thronfolger Franz und besichtigt das damals berühmte Krankenhaus von Wien.
Er geht in Wiens Hofbibliothek. Er sollte damals die letzten Abschnitte „Anthologie der Natur“ aus der Französischen Enzyklopädie des Diderot ergänzen. Während er die „Anthologie der Natur“ noch im Druck hat, fügt er am Ende auch Seiten, die Elektrizität betreffend, hinzu. Er bemerkt dazu: „Die unten stehenden Artikel über den Magnetismus und die übrigen Dinge waren nicht so weit, dass sie in der Ordnung eingefügt würden, wo sie eigentlich hingehörten.“ Er fügte das hinzu, nachdem er die Wiener Bibliothek besucht hatte und dort die Französische Enzyklopädie einsehen konnte, wie das unsere diesbezügliche Forschungsstudie gezeigt hat.
Aus Rhigas‘ erstem Besuch hier in Wien wird seine künstlerisch schöpferische Natur sichtbar. Sieben Besuche in den Theatern Wiens, im Nationaltheater zweimal im Juli 1790 und noch zweimal im August. Rhigas hatte den starken pädagogischen Einfluss des Theaters auf die Menschen begriffen. Deshalb gab er außerdem auch zwei Theaterstücke heraus: „Olympisches“ und „Die Alpenhirtin“, und darüber hinaus enthielt seine „Charta“ am siebenten Blatt auch den Plan eines antiken Theaters.
Im Allgemeinen verlief das Leben von Rhigas in Wien intensiv, mit Besuchen in den kaiserlichen Amtsräumen, in den Palais, beim Erzherzog Franz und bei Kaiser Leopold, in den Theatern, den Druckereien, der Wiener Hofbibliothek.
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Zum zweiten Mal hält sich Rhigas im August des Jahres 1796 in Wien auf. Er ließ seine Mutter und sein Vermögen in Bukarest zurück. Er hatte seinen Entschluss gefasst, seinen strategischen Plan für eine Revolution in die Tat umzusetzen, um die Sklaverei so vieler Jahrhunderte abzuschütteln und die Freiheit zu erringen.
Doch seine Abreise blieb nicht unbemerkt. Der dortige österreichische Konsul Merkelius informiert sofort seine Vorgesetzten in Wien bezüglich seiner (Rhigas‘) Abreise:
„Entsprechend glaubwürdigen Informationen reiste ein Sekretär namens Rhigas Anfang dieser Woche ab, um sich nach Wien zu begeben mit dem Ziel, eine griechische Karte drucken zu lassen. Dieser Rhigas pflegte eine enge Bekanntschaft mit dem hiesigen französischen Gesandten Gaudin, eine Tatsache, die ich Eurer Exzellenz mitteilen wollte.“
Rhigas kommt in Wien an, die Stadt mit ihrer blühenden Griechischen Gemeinde.
Bald war er von Gesinnungsgenossen umgeben, die seinen hochfliegenden Plan teilten. Er tritt mit den Brüdern Pouliou aus Siatista in Verbindung, die das griechische Druckwerk „EPHIMERIS“ herausgaben und dessen Abonnent außerdem Rhigas war. Er macht sie bekannt mit seinem revolutionären Plan. Dort in ihrer Druckerei werden seine revolutionären Werke gedruckt.
Rhigas‘ ständige Sorge galt der Herausgabe seiner Karten. Er findet den namhaften Kupferstecher Müller und sofort, im Herbst 1796, lässt er den eindrucksvollen „Plan von Konstantinopel“ mit seinen bedeutenden Symbolismen in Druck gehen, der das erste Blatt der „Charta“ darstellt. Er setzt mit der Herausgabe der übrigen Blätter fort, wie auch den Karten der Walachei und Moldawiens. Bis Mai 1797 war ihre Herausgabe fertiggestellt und beeindruckte Griechen und Fremde. Zum ersten Mal war eine so große Karte des Balkangebiets gedruckt worden.
Während die ersten vier Blätter noch im Druck waren, hatte sie der Schriftstelle Johann Engel gesehen. In seinem Buch, welches im selben Jahr 1797 in Halle herauskam, stellte er das Werk Rhigas‘ vor und bemerkte dazu: „Welch großes Vergnügen bereitete mir die Bekanntschaft mit einem Thessalier mit Namen Rhigas, der sich gegenwärtig in Wien befindet!“
Ähnlich Franz Alter, Professor der griechischen Sprache in Wien, der die herausgeberische Tätigkeit der Griechen beobachtete und in der Leipziger philologischen Zeitschrift schrieb:
er merkte an, dass in der Druckerei der Makriden Pouliou der „Junge Anacharsis“ gedruckt wird und dass „die Herausgabe ein höchst fähiger Thessalier mit Namen Rhigas aus Pherai besorgt, das jetzt Velestinos heißt, weshalb sich auch jener selbst Velestinlis nennt.“
Im Herbst 1796 vollendete Rhigas die Komposition seines „Thourios“, des revolutionären Päans „Bis wann, ihr Helden“, der die griechischen Patrioten zu elektrisieren begann. Die Exemplare wurden in der Form von Handschriften verteilt. Ihn sangen die Griechen bei ihren Versammlungen und Symposien und schufen damit die entsprechenden Gefühle. In den Untersuchungsberichten von Legrand steht, dass im Haus von Argentis, wo Rhigas mit seinen griechischen Gefährten zu Mittag aß, er nach dem Essen den „Thourios“ sang und dabei um den Tisch tanzte. Ein bewegender Augenblick! Die Sehnsüchte und Wünsche nach Freiheit sollten vom Tanz begleitet werden, damit der Thourios ihren Entschluss zur Revolution vorantreibe.
Auch die anderen Gefährten sangen den Thourios „Bis wann, ihr Helden“. Der Medizinstudent aus Kozani, Georgios Sakellarios, hatte den „Thourios“ vervielfältigt, so wie auch Georgios Tourountzias aus Siatista – und sangen ihn mit den anderen griechischen Studenten. Sogar bei den Zusammenkünften der Griechen in der griechischen Taverne würde man den Thourios hören. Sie würden weinen vor Rührung und Mut für ihren Entschluss fassen, hinunter nach Griechenland zu gehen und die Sklaverei abzuschütteln.
Genährt von der Demokratie der alten Griechen, der demokratischen Verwaltung der griechischen Gemeinden von Pilion sowie der demokratischen Verfassung der Französischen Revolution, denkt Rhigas nach über die Art der Verwaltung des griechischen und balkanischen Gebietes, nunmehr befreit nach der Revolution. Er will die demokratische und keine absolutistische Verwaltung. Er ersucht Koronios, ihm die Kopie der französischen demokratischen Verfassung von 1793 zu schicken. Sein französischer Freund in Bukarest, der Konsul Gaudin, hatte ihm die Kopie der Verfassung von 1795 geschenkt. Er sitzt und übersetzt und fügt eine ganze Reihe eigener Elemente hinzu. Und sein Gefährte Philipp Petrovic erwähnte während der Untersuchung durch die österreichische Polizei, dass er bei seinem Besuch in Rhigas‘ Wohnung ihn sah, wie er die französische Verfassung übersetzte.
So bietet Rhigas, kaum vier Jahre nach der französischen Verfassung, die erste demokratische Verfassung des griechischen und balkanischen Raumes an – etwas, das nicht entsprechend gewürdigt ist.
Rhigas verstand es taktisch gut, Verbindungen aufzubauen. Er machte sich mit Ernst Munch bekannt, Professor der Universität Freiburg. Diesem bot er die zwölfseitige Karte Griechenlands an, die er herausgegeben hatte, sowie ein kleines Porträt von sich, das er gedruckt mit sich führte. Es würde die Mühe lohnen, zu erforschen, ob in den Archiven damit in Beziehung stehende Unterlagen von Professor Munch existierten.
Ebenso machte er sich sogar mit dem Direktor des Wiener Krankenhauses, dem Hofarzt und Philhellenen, Professor Peter Frank bekannt. Zu ihm führte er seinen kranken Gefährten Christophoros Perraivo, dem er nach seiner Heilung auftrug, er möge nach seiner Rückkehr nach Griechenland seine Grüße an das Grab des Vaters der Heilkunst, Hippokrates, überbringen, das sich in Larisa befindet, entsprechend der ersten Bekanntmachung des Grabes durch Rhigas im „Jungen Anacharsis“.
Rhigas besucht das Kaiserliche Museum. Er erforscht und sucht aus, welche Münzen den Städten der Charta entsprechen, mit dem Wunsch, die Herrlichkeit des antiken Griechenland zu zeigen, die Kraft der Vorfahren. Das nationale Andenken an sie zu stärken, sie in sich selbst sich bewusst zu machen. Dort im Kaiserlichen Museum spürte er auch das Porträt Alexanders des Großen auf, geprägt in einen roten Schmuckstein mit Darstellungen der Triumphe Alexanders des Großen und seiner Feldherrn. Das ließ er drucken und gab den versklavten Griechen Alexander den Großen als Vorbild von Tapferkeit, Kämpfertum und Entschlusskraft.
Für seine Ausgaben erhielt Rhigas die Druckerlaubnis durch den Zensor der österreichischen Polizei. Er schaffte es dennoch, seine wirklichen Ziele zu verbergen. Es würde jedoch unmöglich sein, ihn (den Zensor) irre zu führen, sobald er seine revolutionären Texte, seinen Aufruf zur Revolution, die Menschenrechte, die Verfassung und den Revolutionspäan Thourios herausgeben wollte. Er wusste, dafür würde er die Erlaubnis nicht bekommen. Und darüber hinaus würde sein Revolutionsplan auffliegen. Deshalb druckte er das illegal. Zwei Tage und zwei Nächte blieb er in der Druckerei der Brüder Pouliou mit drei österreichischen Druckereiarbeitern, die nicht griechisch verstanden. Und unter seiner Anleitung wurden diese revolutionären Texte geheim gedruckt. Einer der österreichischen Gehilfen der Druckerei behielt freilich im Geheimen eine Kopie des Aufrufs von Rhigas, und präsentierte sie der Polizei während der Untersuchung.
Auch in der Folgezeit versuchte Rhigas mit Geheimhaltung und Konspirativität den Thourios und den Aufruf zur Revolution im Kreis der Griechen zu verteilen. Rhigas‘ Gefährte Georgios Tourountzias aus Siatista erwähnte während der Untersuchung, dass er ihm während ihres Treffens auf dem kleinen Wiener Platz „Fischhof“, in der Altstadt, das revolutionäre Flugblatt gegeben habe: „…er gesteht, dass Rhigas um den Oktober des vergangenen Jahres ihm einmal eines Tages am Fischhof die Kopie des Flugblatts mit dem Aufruf in die Hand gedrückt habe.“
Und kurz bevor Rhigas aus Wien abreiste, gab er, vielleicht während ihres Abschieds, dfem Argentis zwei Kopien des griechischen Aufrufs. Und dieser las sie in seinem Haus den anderen Gefährten vor. Sie waren ergriffen, waren hoch erfreut über den revolutionären Inhalt und über die Hoffnung der Heimat auf Freiheit.
Seiner selbst sicher und im Vertrauen auf die verschwörerischen Fähigkeiten, verbergend die wirklichen Absichten, geht Rhigas zu den österreichischen Behörden und bekommt einen Pass zur Weiterreise nach Griechenland über Triest. Rhigas ist der perfekte Verschwörer. Die so gut organisierte österreichische Polizei hatte nicht auch nur ein bisschen mitbekommen, auch wenn er unter Beobachtung stand. Darin erweist sich die Dynamik der Persönlichkeit von Rhigas.
Anfang Dezember 1797 bereitet er sich auf seine Fahrt nach Griechenland vor. Er wollte, dass die Durchführung seines strategischen Plans zur Revolution ihren Anfang nehme. In Kisten legte er seine Karten, die Bilder Alexanders des Großen, seine Bücher. Parallel dazu bereitet er auch vor, was er persönlich für die Reise brauchte. Wir sehen da den Menschen Rhigas. Seine persönlichen Dinge hat die österreichische Polizei bei seiner Verhaftung aufgelistet: ein Tintenfass und Schreibfedern, drei Rasiermesser, ein Behälter mit Salz und Pfeffer, Messer und Gabel, eine Schere, ein Kamm, eine Tasche mit Zwirn, Augengläser, zwei Ketten, eine Pistole, ein orientalisches Messer, ein Paar alter Stiefel, zwei Tornister, ein Wassergefäß, wie es die Griechen verwenden, ein Polster, sein Ölporträt sowie auch ein kleineres, Stecknadeln, zehn Kopien des Neuen Testaments und drei Blasinstrumente.
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Und schließlich, nunmehr unter anderen Bedingungen, befindet sich Rhigas ein drittes Mal in Wien, von April bis Anfang Mai 1798. Jetzt ist er gefesselt, mit Ketten an Füßen und Händen. Wiederum Untersuchungen, bis endgültig seine Auslieferung beschlossen wurde – zusammen mit seinen anderen sieben Gefährten, die osmanische Untertanen waren. Geopfert wurden sie auf dem Schachbrett der Diplomatie. Sie wurden an den Pascha von Belgrad ausgeliefert. Und nach dem Erlass aus Konstantinopel, an genau diesen Tagen des Juni 1798, vor 220 Jahren, wurden Rhigas und seine Gefährten im Nebojsa – Turm in Belgrad erdrosselt, treu dem Auftrag seines „Thourios“:
„Besser eine Stunde Leben in Freiheit als vierzig Jahre Sklaverei und Gefängnis“.